

Galen Marek
Hintergrundgeschichte:
Mit dem Slender Man (seltener auch “Slenderman”) ist es so eine Sache. Der Mythos von der gesichtslosen, großen und schmalen Gestalt im Anzug, die Kinder entführt, geistert schon seit ein paar Jahren durchs Internet. Gründlich recherchierende Netzbürger fanden schließlich heraus, dass der Ursprung dieser Legende – wie profan! – in einem Photoshop-Wettbewerb namens “Paranormal Pictures” zu finden ist. Bei diesem Contest auf dem Blog “Something Aweful” waren die Teilnehmer 2009 dazu aufgerufen, alte Fotos digital so zu manipulieren, dass sie möglichst gruselig aussahen. Zum Wettbewerb gehörte auch der Aufruf, sich eine Hintergrundgeschichte und “Zeugenaussagen” zu den digital bearbeiteten Bildern auszudenken und das Komplettpaket an möglichst vielen Stellen im Internet zu platzieren, um gezielt einen “Urban Myth” zu erschaffen. Das gelang im Fall von Slender Man enorm gut: Der Mythos wurde viral und verselbständigte sich.
Der Fall sollte also klar sein: Alles rund um Slender Man – von den “Beweisfotos” über Zeugenaussagen und dem angeblichen Ursprung der Legende im mittelalterlichen Schwarzwald – ist ein Fake. Frei erfunden, um leichtgläubige Teenager zu ängstigen. Die Akte “Slender Man” sollte also getrost geschlossen werden können.
… oder?
Leider nein. Denn der Ursprung der Slender Man-Legende mag ein Hoax gewesen sein – doch die Bedrohung durch diese düstere Wesenheit ist dennoch real! Das Zauberwort lautet: “Tulpa-Effekt”. Unter einer “Tulpa” versteht man ursprünglich in der tibetanischen Mythologie einen durch reine Willenskraft wahr gewordenen Gedanken. In der modernen Paranormologie bezeichnet der “Tulpa-Effekt” das Erschaffen eines Phänomens oder Wesens durch die Bündelung psychischer Energien. Oder auf Deutsch: Wenn genug Menschen an eine Sache glauben, kann sie wahr werden! Angst soll angeblich eine besonders gute Energiequelle für “Tulpas” sein … Die Mythen-Faker von “Something Aweful” scheinen durch den viralen Erfolg der Slender Man-Bilder eine Kettenreaktion ausgelöst zu haben, die sich auch im ganz wörtlichen Sinne verselbständigt hat! Die Geister, die ich rief …
Heimat:
Die ursprüngliche Fake-Legende behauptete, dass der Slender Man aus dem Schwarzwald stamme, wo er schon im Mittelalter unter dem Namen “Großmann” bekannt gewesen sein soll. Diese Information ist Teil der gezielten Legendenbildung und damit frei erfunden. Die wahre “Geburt” dieses (Un-)Wesens wird vermutlich irgendwann im Jahr 2011 oder 2012 stattgefunden haben – so lange brauchte der Mythos, um in vollem Umfang viral zu werden. Spätestens im Juni 2012 waren genug “Gläubige” beisammen, um die kritische Masse für den Tulpa-Effekt zu erreichen … Deshalb hat der Slender Man keine “Heimat” im eigentlichen Sinne. Er kann überall dort auftauchen, wo Menschen an ihn glauben – und das ist vermutlich besonders dort der Fall, wo es viele Internetanschlüsse gibt. Besonders gerne hält er sich in Wäldern auf, er wurde aber auch schon in dicht besiedelten Städten und kargen Wüsten gesichtet. Die meisten Erscheinungen aber scheint es in Nordamerika, Mitteleuropa und Japan zu geben. Vielleicht, weil die Menschen hier besonders viel Zeit im Netz verbringen und gerne an urbane Mythen glauben?
Opfer::
In der ursprünglichen Legende hatte es der Slender Man ausschließlich auf Kinder abgesehen, die er – alleine oder in Gruppen – an abgelegene Orte lockte und dann entführte. Mittlerweile scheint er aber auch Geschmack am Terrorisieren und Entführen von Jugendlichen und Erwachsenen gefunden zu haben. Warum genau sich Slender Man für ein bestimmtes Opfer entscheidet, ist völlig unklar – ebenso, was mit den Opfern passiert. Eine Theorie besagt, dass er seine Beute in eine Paralleldimension verschleppt – Beweise dafür gibt es bisher keine. Kinder träumen häufig in den Tagen und Wochen vor ihrer Entführung vom Slender Man – oft zeichnen sie ihn in dieser Phase auch. Während Slender Man seine minderjährigen Opfer komplett zufällig auszuwählen scheint, gibt es bei den Erwachsenen ein Muster. Besonders häufig stellt er Menschen nach, in deren Leben sich kürzlich eine Tragödie abgespielt hat – Unglück, Trauer und Angst ziehen ihn an wie frisches Blut einen Hai. Zudem sucht der Slender Man besonders häufig Menschen heim, die Nachforschungen über ihn anstellen – zum Beispiel Polizisten, Detektive, Eltern und Journalisten, die in den vielen Vermisstenfällen ermitteln, für die er verantwortlich ist. Und ganz besonders fühlt sich Slender Man zu Menschen hingezogen, die Angst vor ihm haben …
Slender



